Das Bundesamt für Strahlenschutz im Konflikt mit der Wissenschaft

In ihrem Übersichtsartikel Manmade Electromagnetic Fields and Oxidative Stress – Biological Effects and Consequences for Health zur Frage der Entstehung von oxidativem Stress durch elektro­magnetische Felder [1] berücksichtigen Schürmann und Mevissen alle im letzten Jahrzehnt in wissenschaft­lichen Fachzeitschriften publizierten Ergebnisse von Tier- und Zellstudien. Sie kommen dabei zu folgender Erkenntnis:  Hochfrequente (RF) und niederfrequente (ELF) elektro­magnetische Felder (EMF) haben in den meisten dieser Studien zu einer Zunahme reaktiver sauerstoff­haltiger Moleküle (ROS) geführt und damit oxidativen Stress ausgelöst. Sie sehen es deshalb als gesichert an, dass elektromagnetische Felder im Tierversuch reaktive sauerstoffhaltige Moleküle (ROS) produzieren. Gesundheitsschädlich sind ROS-Bildung und oxidativer Stress jedoch nur dann, wenn das Gleichgewicht zwischen ROS-bildenden und ROS-abbauenden Enzymaktivitäten auf Dauer gestört ist. Dieses hätte nämlich zur Folge, dass der Ablauf vieler physiologischer Prozesse, die für die Erhaltung der Gesundheit notwendig sind, beeinträchtigt ist. Selbst wenn die methodischen Schwächen einzelner Studien berücksichtigt werden, gibt es zusätzlich eindeutige Hinweise dafür, dass die Hochfrequenzstrahlung, sogar unterhalb der Grenzwerte, auch das oxidative Gleichgewicht verändern kann. Die vorliegenden Ergebnisse reichen allerdings für die Abschätzung möglicher ROS-bedingter gesundheitlicher Risiken beim Menschen nicht aus. Dafür müsste der Nachweis erbracht werden, dass das physiologische Verhältnis aus ROS-Synthese und ROS-Abbau auch dauerhaft gestört sein kann. Und dazu wären weiterführende Untersuchungen unter standardisierten Bedingungen erforderlich.


Franz Adlkofer

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Damit stellt sich die Frage, wie die für den Strahlenschutz der Bevölkerung zuständige Politik auf diese wissenschaftlich überzeugende Darstellung eines Kernbereichs der Strahlenforschung reagieren wird. Als Galileo Galilei den Inquisitoren des Vatikans 1610 anbot, doch selbst durch sein Fernrohr zu schauen, um sich zu überzeugen, dass sich die Erde um die Sonne dreht, nicht umgekehrt, lehnten diese ab. Sie vertrauten lieber auf ihr Jahrhunderte altes theologisches Dogma, das der neuen Vor­stellung widersprach. Ähnlich verhalten sich heute Mobilfunkindustrie und Politik, die ihr an die 70 Jahre altes militär-industriepolitisches Dogma von der ausschließlichen Wärmewirkung der Hochfrequenzstrahlung – obwohl längst widerlegt – weiterhin aufrechterhalten. Schürmann und Mevissen haben eingeräumt, dass eine Abschätzung ROS-abhängiger gesundheitlicher Risiken beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht möglich ist. Bei diesem Zugeständnis steht zu befürchten, dass sich Politik und Mobilfunkindustrie genauso verhalten wie 2011 nach der Einstufung der Hochfrequenzstrahlung als möglicherweise krebserzeugend durch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO und 2018 nach der Publikation der Studie des amerikanischen National Toxicology Program (NTP), die den Beweis für die kanzerogene Wirkung der Hochfrequenz­strahlung im Tierversuch erbracht hat. Unter Berufung auf ihre wissenschaftlichen PR-Organisationen mit den schönen Namen Strahlenschutzkommission (SSK) und Internationale Kommission zum Schutz vor nicht-ionisierenden Strahlen (ICNIRP) [2] werden sie wohl auch die Forschungsergebnisse von Schürmann und Mevissen nicht weiter beachten. Da sie allein über die Mittel verfügen, um die ROS-Forschung – wie vorgeschlagen – zum Abschluss zu bringen, dürfte die weitere Abklärung in weiter Ferne liegen.

Damit sich die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands eine solche Behandlung durch Politik und Mobilfunk­industrie nicht auf Dauer gefallen lassen, müssen sie über die Methoden, die angewandt werden, um sie über den tatsächlichen Stand der Forschung hinters Licht zu führen, informiert werden. Schürmanns und Mevissens kritischer Bericht über die Verursachung von oxidativem Stress durch elektromagnetische Felder, der möglicherweise für den Großteil der der Mobilfunkstrahlung angelasteten gesundheitlichen Störungen verantwortlich ist, liefert dafür den Anlass:

1.   In den letzten 20 Jahren förderte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Forschung von Prof. Alexander Lerchl von der privaten Jacobs University in Bremen mit knapp 5 Millionen Euro. Dies dankte er dem BfS, indem er wie z.B. im Rahmen des von 2002 bis 2008 durchgeführten Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms durch verfehlte Planung, Durchführung und Aus­wertung seiner Forschungsvorhaben Ergebnisse lieferte, mit denen er die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Mobilfunkstrahlung und die Zuverlässigkeit der Grenzwerte – wie wohl vom BfS erwartet – zu bestätigten glaubte [3,4].

2.   Das BfS ist auch der Hauptsponsor und die institutionelle Heimat der ICNIRP. In jedem der letzten drei Jahre ist das BfS für 70-80% der jährlichen Einnahmen der ICNIRP aufgekommen. Wie Prof. Lerchl weigert sich die ICNIRP bis heute, die mit Mobilfunkstrahlung verbundenen Krebsrisiken anzuerkennen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umgang mit der amerikanischen NTP-Studie, in der die krebserzeugende Wirkung der Mobilfunkstrahlung bei Ratten eindeutig nachgewiesen wurde [3].

3. Das BfS behauptet bis heute, dass die Ergebnisse der von mir von 2000 bis 2004 koordinierten europäischen REFLEX-Studie in zwei von ihm geförderten Wiederholungsstudien nicht bestätigt werden konnten. Zutreffend ist, dass im ersten mit 832.000 € finanzierten Forschungsvorhaben ein Zellsystem verwendet wurde, das sich in der REFLEX-Studie als ungeeignet erwiesen hatte, und dass das zweite mit 566.000 € finanzierte Forschungsvorhaben an der technischen Unbedarftheit der Auftragnehmer scheiterte. Deren nicht auswertbaren Ergebnisse wurden offensichtlich von keiner Fachzeitschrift mit Peer-Review zur Veröffentlichung angenommen [3].

4.   Das BfS setzt die Zusammenarbeit mit Prof Lerchl bis heute fort, obwohl dieser inzwischen zweimal rechtskräftig, 2015 vom Landgericht Hamburg und 2020 vom Hanseatischen Oberlandes­gericht Bremen, verurteilt wurde, weil er die REFLEX-Studie als gefälscht bezeichnet hat, ohne dies beweisen zu können [5]. Gegenwärtig finanziert das BfS mit 1,1 Millionen € ein Forschungs­vorhaben, in dem Prof. Lerchl die Wirkungen der 5G-Strahlung auf menschliche Hautzellen unter­sucht. Vermutlich wird er seine Förderer wiederum nicht enttäuschen. Auf YouTube berichtet er bereits jetzt, dass aus wissenschaftlicher Sicht auch bei 5G hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken keinGrund zur Besorgnis besteht.

5.   Mit Politik und Mobilfunkindustrie verbindet Prof. Lerchl offensichtlich ein geradezu einmaliges Geschäftsmodell. Als Berater trägt er der Politik vor, was sie von ihm hören will, nämlich dass mit den geltenden Grenzwerten gesundheitliche Risiken durch die Mobilfunkstrahlung zuverlässig ausgeschlossen werden. Als mit ihrem Geld ausgestatteter Forscher an der Jacobs University Bremen liefert er die zu seiner Aussage passenden Ergebnisse. Ergebnisse anderer Wissen­schaftler, die seinen Vorstellungen widersprechen, kritisiert er als nicht belastbar oder gar als gefälscht [6]. Sollte sich eines Tages herausstellen, dass die Förderer einem Betrüger aufgesessen sind, wäre dies für die unabhängige Wissenschaft wohl keine Überraschung mehr.

Referenzen

[1]   https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33917298/

[2]   https://stiftung-pandora.eu/wp-content/uploads/2021/05/2021-04-28_Pandora_Leszczynski-5G-ICNIRP.pdf

[3]   https://www.microwavenews.com/short-takes-archive/rich-rewards-bad-behavior

[4]   https://stiftung-pandora.eu/2020/05/26/bei-der-einfuehrung-von-5g-durchmobilfunkindustrie-und-politik-ersetzt-lobbyismus-die-aufklaerung/

[5]   https://www.microwavenews.com/news-center/german-court-moves-silence-criticrf-dna-breaks

[6]   https://stiftung-pandora.eu/2021/03/28/interview-der-friedensinitiative-dresden-mit-prof-adlkofer-welche-konsequenzen-ergeben-sich-aus-der-verurteilung-desmobilfunkforschers-prof-alexander-lerchl-durch-das-hanseatische-oberlandesgericht/